Zusammenfassung

Leitstudie Digitale Echtzeit-Energiewirtschaft – Bausteine für ein marktwirtschaftliches Zielmodell

Das Energiesystem wird immer dezentraler, interaktiver und sektorenübergreifender. Dieser Wandel setzt das Energiesystem unter starken Veränderungsdruck und schafft einen ordnungspolitischen Handlungsbedarf, um die Weichen für das Energiesystem der Zukunft zu stellen.

Politisch stellt sich die Frage, wie ein marktwirtschaftlicher Ordnungsrahmen für eine zunehmend dezentrale und sektorenübergreifende Energiewirtschaft aussehen muss, um Potenziale für Effizienz und Innovation bestmöglich zu realisieren. Als eine Alternative zu einer Energiewirtschaft mit einer zunehmenden Zahl von staatlichen Eingriffen schlägt das European Energy Lab 2030 die konsequente Integration von dezentralen Erzeugungsanlagen, Wärmepumpen, stationären Stromspeichern, Elektrofahrzeugen, Elektrolyseuren als aktive Marktakteure vor. Zielsystem ist eine Echtzeit-Energiewirtschaft, in der Millionen von Geräten in hoher Frequenz miteinander interagieren und damit die Liquidität der Märkte vergrößern, die Märkte effizienter machen sowie die Versorgungssicherheit erhöhen, anstatt sie zu verringern. Das marktwirtschaftliche Zielmodell, welches das European Energy Lab 2030 vorschlägt, hat drei Bausteine:


  • Offener Marktzugang für kleine Stromerzeugungseinheiten, Energiespeicher und Lasten sowie eine hohe Marktintegration durch den schnellen Wechsel von Geräten/Akteuren zwischen diversen Funktionen und Märkten;

  • Vielfalt von Märkten, Marktsegmenten und Systemdienstleistungen durch kontinuierliches Erproben und Weiterentwickeln von Konzepten sowie eine hohe Auslastung verteilter Kapazitäten durch effiziente Marktpreise für Flexibilität sowie Knappheitssignale für Netzauslastung;

  • Hoher Grad marktgetriebener Geschäftsmodellinnovationen durch die Interaktion von Stromerzeugungseinheiten, Energiespeicher und Lasten.


Zentrale Stellschrauben zur Erreichung dieses Zielmodells sind die digitale Infrastruktur, die neue IT-basierte Gestaltungsoptionen schafft, und die Anpassung des Regelrahmens.

Baustein 1: Offener Marktzugang und hohe Marktintegration

Damit Haushalte und Unternehmen ihre Konsum- und Einspeiseentscheidungen für Geräte gemäß ihren Präferenzen frei treffen können, müssen sämtliche Preis- und Systemrisiken transparent gemacht und internalisiert werden. Die digitale Infrastruktur in einer Echtzeit-Energiewirtschaft muss daher die automatisierte, digitale Authentifizierung von einzelnen stromerzeugenden und stromverbrauchenden Anlagen sowie Speichern ermöglichen. Anstelle einer herkömmlichen Datenbank kann dazu die Blockchain als eine hoch flexible, sichere Vertrauensschicht genutzt werden. So können Anlagen technisch nachweisbar und in hoher Frequenz zwischen Märkten und Systemdienstleistungen wechseln.
Im Regelrahmen müssen heutige Marktordnungen konsequent weiterentwickelt werden. Wesentlich ist die Klärung, welche Einspeiser, Speicher und Lasten welcher Größe wann welchen Marktzugang erhalten. Möglichkeiten der Direktvermarktung sollten ausgeweitet werden. Außerdem muss die Marktintegration von Speichern und P2X-Modellen ermöglicht werden. Wir schlagen vor:


  • Bilanzkreisverantwortung stärken: Um das Potenzial einer Echtzeit-Energiewirtschaft zu nutzen, muss die (Mikro-) Bilanzkreisverantwortung gestärkt werden.

  • Staatlichen Anteil am Strompreis senken: Damit die Preissignale unmittelbar die Verbraucher erreichen und flexibles Verhalten anreizen, muss die Bundesregierung die hohen Abgaben, Umlagen und Steuern auf den Strompreis konsequent abbauen.

  • Europäische Standards definieren und Daten-Hub schaffen: Damit alle Unternehmen im europäischen digitalen Binnenmarkt in einem fairen Wettbewerb konkurrieren können, brauchen sie vergleichbare Rahmenbedingungen und einfachere Datenschutzregeln. Es sollten daher europaweite Mindeststandards für Sicherheit, Datenschnittstellen und einen handhabbaren, innovationsfreundlichen Datenschutz definiert und die Einrichtung eines europäischen Daten-Hubs geprüft werden.

  • Europäische Plattform für digitale Innovationen und Vernetzung schaffen: Es sollte ein „Zentrum Digitalisierung Europa“ gegründet werden, das eine Plattform schafft, um die wichtigsten Kompetenzen, Akteure und Entwicklungen mit Blick auf die Digitalisierung des Energiesystems in Europa abzubilden und zu vernetzen.

Baustein 2: Vielfalt von Märkten und Marktsegmenten sowie eine hohe Auslastung von Kapazitäten

Die Marktöffnung bzw. die Vergrößerung der Märkte im Hinblick auf Teilnehmer und durchgeführte Transaktionen müssen mit Priorität vorangetrieben werden. Die digitale Infrastruktur erlaubt eine erhöhte Transparenz auf der Verteilnetzebene und lässt so bislang ungenutzte Kapazitäten und Flexibilität sichtbar werden. Im Regelrahmen sollten derzeitige Anreize zum Eigenverbrauch angepasst werden, um selbstbestimmte Akteure über Knappheitssignale zu einer Marktteilnahme zu bewegen. Wir schlagen vor:


  • Preissignal stärken, flexibles Verhalten anreizen: Die Digitalisierung erhöht den Informationsfluss und kann dadurch die Elastizität der Preise auf dem Energiemarkt erhöhen. Entscheidend ist es, einen passenden Marktrahmen zu schaffen, der den Wert von Flexibilität transparenter macht und erhöht. Ziel muss es sein, dass Preissignale unmittelbar die Erzeuger und Verbraucher erreichen und flexibles systemdienliches Verhalten anreizen.

  • Alle Systemdienstleistungen marktwirtschaftlich vorantreiben: Systemdienstleistungen sollten grundsätzlich technologieoffen gestaltet und marktbasiert beschafft werden.

  • Datenbasierte Netzengpassbehebung durch Transparenz ermöglichen: Durch Datentransparenz innerhalb des Stromsystems können Effizienzgewinne erzielt werden. Dazu sollten die vertikale Koordinierung zwischen Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern sowie die horizontale Koordinierung zwischen Netzbetreibern auf der gleichen Netzebene gestärkt werden.

  • Netze dynamisch nach Anschlussleistung und/oder Kilowattstunden bepreisen: Die Finanzierung sollte sich grundsätzlich stärker an der Auslastung der Netze sowie an der Anschlussleistung bemessen. Darüber hinaus sollte systemdienliches Verbraucherverhalten gestärkt und durch zeitlich differenzierte Netzentgelte noch verursachergerechter bepreist werden.

  • Grenzübergreifende Modellregion für Demand Side Management (DSM) schaffen: Um die Potenziale für Demand Side Management auf Verteilnetzebene zu testen, sollte auf der Basis digitaler Infrastrukturen eine grenzübergreifende Modellregion für DSM-fähige Produkte und systemdienliche Dienstleistungen beziehungsweise Technologien wie Blockchain geschaffen werden.

Baustein 3: Hoher Grad marktgetriebener Geschäftsmodellinnovationen

Eine hocheffiziente und effektive digitale Echtzeit-Energiewirtschaft muss sicherstellen, dass bestehende Geschäftsprozesse dynamisch weiterentwickelt und neue Geschäftsmodelle erprobt werden können. Voraussetzung einer dazu passenden digitalen Infrastruktur ist allerdings, dass die Kosten für die Nutzung des Marktes (Transaktionskosten) niedrig sind und Geschäftsmodellentwicklung und -erprobung nicht verhindern. Für die Interaktion von Ressourcen sollten offene Standards genutzt werden können. Außerdem müssen Schnittstellen klar definiert sein und insgesamt Interoperabilität konsequent angestrebt werden. Im Regelrahmen sind regulatorische Hindernisse abzubauen, die eine Marktöffnung für neue Akteure erschweren und verhindern. Darüber hinaus sind abgestimmte, domänenübergreifende regulatorische Maßnahmen für eine Sektorkopplung zu schaffen. Wir schlagen vor:


  • Unbürokratisch Datentransparenz und -kategorisierung ermöglichen: Datenbestände sollten unbürokratisch, aber sicher erfasst werden, um Transparenz bei Angebot und Nachfrage in einem funktionierenden digitalen Binnenmarkt zu ermöglichen. Die unbürokratische Realisierung eines Registers durch Blockchain-Technologie sollte geprüft werden.

  • Optimierung des Gesamtsystems durch Datenaustausch voranbringen: Um Sektorkopplung voranzubringen, muss die benötigte Infrastruktur, insbesondere Energienetze, datenbasiert ausgebaut und betrieben werden. Dies ermöglicht, Schnittstellen zwischen Sektoren effizient zu nutzen.

  • Durch weniger Regulierung Freiraum für digitale Innovationen schaffen: Ein Energiesystem, das sich im Wandel befindet, braucht Offenheit und eine Kultur des Zutrauens, um Innovationen zu ermöglichen.

  • Energiepolitische Whitelist etablieren: Über die Etablierung einer Whitelist sollte das energiepolitische Regelwerk im Hinblick auf Digitalisierung und Widersprüche fortlaufend überprüft und verschlankt werden. Außerdem sollte eine Ombudsstelle für regulatorische Widersprüche eingerichtet werden, um Konflikte unbürokratisch und niedrigschwellig auflösen zu können.


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